Wanderung auf dem Grund des Sylvensteinstausees zum Dorf Fall
Das ist wohl die erste Wanderung, die ich komplett in Gummistiefeln gemacht habe. Wer hätte gedacht, dass man mitten in Oberbayern, direkt an der Grenze zu Tirol, Wattwandern kann? Wenn der Pegelstand des Sylvensteinsees niedrig genug ist, geht es und man kann zu den Ruinen des Dorfes Fall wandern. Genau das habe ich gemacht. Und ich habe erfahren, ob die Gerüchte stimmen, dass man bei Niedrigwasser im Sylvensteinsee den Kirchturm von Fall sehen kann.
Die Ruinen von Fall im Sylvensteinspeicher
Wer von München über Bad Tölz oder Tegernsee ins Rißtal fährt, um etwa den großen Ahornboden in der Eng zu besuchen, quert den Sylvensteinspeicher über die Fallerklammbrücke. Vielleicht macht an einen kurzer Halt auf dem Parkplatz vor der Brücke, um ein schnelles Foto zu machen, denn der See liegt sehr malerisch zwischen den Bergen. Sein Aussehen mit den zwei Hauptarmen wird häufig als fjordartig beschrieben.
Ich habe auch auf dem Parkplatz vor der Brücke gehalten, aber diesmal war es kein Zwischenstop, sondern der See war mein Ziel. Wer auf dem Parkplatz vor der Brücke keinen Platz findet, kann nach der Brücke parken. Dort führt auch auf der linken Seite eine Treppe hinab. Achtet auf die Hochwassermarken an der Brücke! Wenn man diese mit dem aktuellen Wasserstand vergleicht, wirken sie schon beeindruckend hoch.
Unterhalb der Fallerklammbrücke befindet sich eine kleine Halbinsel, auf der ein paar Grillstellen zu sehen sind. Zu den ersten Brückenpfeilern kann man auch bei Normalpegelstand des Sylvensteinsees gehen, direkt an der Treppe führt der Seeufer-Wanderweg entlang. Aber mich zieht es natürlich hinunter zu den Ruinen von Fall. Da ich an diesem Sonntagmorgen ziemlich früh dran bin, liegen sie noch im Schatten. Schlecht für Fotos, aber trotzdem gut für mich. Denn der Boden ist noch gefroren und ich gehöre zu den ersten Besuchern an diesem Tag So kann ich mir in aller Ruhe die Grundmauern ansehen, ohne einzusinken.
Ich gehe also noch ein paar Meter weiter hinunter und sehe mir die Reste von Alt-Fall an. Seit über 50 Jahren liegen sie nun auf dem Grund des Sylvensteinsees und sind von Schlamm bedeckt. Direkt an der Isar sind einige Grundmauern zu sehen, die ein großes “F” bilden. Etwas dahinter ragen drei Steine aus dem Fluss, kurz vor der Spitze der Halbinsel, an der ebenfalls Mauerreste zu sehen sind.
Zwei gemauerte Auffahrten, wie sie typisch sind für bayerische Bauernhäuser, stehen als gemauerte Keile im Schlamm. Die dazugehörigen Häuser, in deren ersten Stock diese Auffahrten einmal führten, gibt es nicht mehr, nur noch ein paar Grundmauern stehen.
Etwas abseits davon ist ein quadratischer Keller zu sehen. Er ist in vier gleich große Räume unterteilt. Mich verwundert, dass sie nach über 50 Jahren auf dem Grund des Sees noch nicht vollständig mit Schlamm bedeckt sind. Nicht weit davon steht eine niedrige Wand, die aus Ziegeln aufgeschichtet wurde.
Die Fläche, die nun trocken liegt, zieht sich weit nach Süden, so dass man an der Wasserkante entlang laufen kann. Es erinnert wirklich an eine Landschaft im Wattenmeer, wenn nur nicht die Berge am anderen Ufer wären.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, hier durch den Schlamm zu gehen und zu wissen, dass das einmal ein Dorf war. Ludwig Ganghofers Roman “Der Jäger von Fall” spielte hier. Aber es war keine Katastrophe, die das Dorf zerstört hat, sondern es wurde bewusst umgesiedelt. Hauptsächlich Grenzbeamte – die Grenze zu Österreich ist nah – und Waldarbeiter haben hier wohl mehr schlecht als recht gelebt, denn der Standard soll auch für die Verhältnisse der Fünfziger Jahre eher niedrig gewesen sein.
Die Ersatzhäuser in Neu-Fall waren wohl auch eher einfach gehalten, aber ein Fortschritt gegenüber denen des alten Ortes. Dennoch kann ich mir gut vorstellen, dass es für manche Einwohner nicht leicht war, das alte Dorf im See versinken zu sehen und die Sprengung der Häuser mit ansehen zu müssen.
Im westlichen Teil des Speichers
Als ich wieder hoch zur Brücke gehe, taut der Boden schon an und wird merklich weicher. Nun gehe ich auf die andere Seite der Brücke. Hier ist ein riesiges Gebiet trocken gefallen, an dessen Nordrand die Isar fließt. Durch die geringen Niederschläge der letzten Zeit führt die Isar sehr wenig Wasser. Daneben ist eine fast völlig ebene Fläche entstanden, auf der ich nun gehe. Teilweise ist es schlammig, teilweise gehe ich auf Eisflächen, manchmal federt der Boden aus dichtem, halbgefrorenem Seegras unter mir.
Fast die gesamte Fläche ist mit dickem Rauhreif bedeckt, so dass sie wie ein Salzsee wirkt. Einzelne herumliegende Baumwurzeln werden in der Fantasie zu Bisonschädeln, die mitten in dieser Wüste liegen und verbleichen. Eine sehr tolle und fast menschenleere Gegend. Während im ehemaligen Fall nun wohl einige hundert Leute unterwegs sind, treffe ich hier auf der viel größeren Fläche vielleicht ein Dutzend andere Spaziergänger. Inzwischen ist es Nachmittag, ich gehe so weit, wie ich in der Sonne laufen kann. Als ich den Schatten der Berge erreiche, drehe ich um und gehe zurück zur Brücke.
Mittlerweile hat sich eine Blaskapelle unter der Brücke eingefunden. Auf der weiten Fläche des “Salzsees” stehend, höre ich plötzlich Blasmusik aus der Ferne, völlig unwirklich und überraschend. Und zu den Klängen des Bayerischen Defiliermarsches treffe auch ich wieder an der Brücke ein. Haben die das extra für mich gespielt? Ich gehe noch einmal hinunter nach Alt-Fall.
Hier ist der Boden inzwischen völlig aufgeweicht. Ein Matsch, wie ich ihn noch nicht erlebt habe. Der Super-Baz. Habe ich schon erwähnt, dass mir ein gutes Stück davon im linken Gummistiefel hängt, weil ich mit einem Bein im Eis eingebrochen bin? Aber der Schlamm ist so dick, dass ich keine nassen Füße habe. Mittlerweile ist es in Alt-Fall vermutlich voller als es je war, als das Dorf noch stand.
Ich mache mich wieder auf den Weg zum Auto, in dem ich in weiser Voraussicht einen kompletten Satz Wechselkleidung und Schuhe habe. Von der Brücke aus werfe ich noch einmal einen Blick auf die Ruinen von Alt-Fall und das Treiben dort.
Kann man den alten Kirchturm von Fall sehen?
Ich habe mehrfach vom Gerücht gehört, dass bei niedrigem Wasserstand der Kirchturm des alten Fall sichtbar sein soll. Jetzt, wo ich in den Resten des alten Dorfes umhergewandert bin, kann ich ganz klar sagen: Nein, da ist kein Kirchturm mehr, auch kein Rest eines Kirchturms, der sichtbar sein könnte. Möglicherweise haben sich einige vom Reschensee inspirieren lassen, in dem der Kirchurm von Alt-Graun weithin sichtbar im See steht.
Ich habe an der Brücke mit einem älteren Ehepaar gesprochen, das damals gesehen hat, wie das Dorf Fall langsam im See versank. Sie sagten, dass der Kirchturm eines der letzten Gebäude war, das gesprengt wurde. Möglicherweise liegt hier die Ursache für die Gerüchte, da der Kirchturm noch relativ lange sichtbar war.
Der Sylvensteinspeicher
In den Jahren 1954 bis 1959 wurde der Sylvensteinspeicher gebaut. Eine natürliche Engstelle im Isartal wurde zum Bau einer 180 Meter langen und 44 Meter hohen Staumauer genutzt, hinter der sich die Isar und ihre Zuflüsse Dürrach und Walchen stauen. Mit dem Sylvensteinsee wird die Wassermenge reguliert, die in die Isar abfließt. So werden Bad Tölz und München vor Hochwassern weitgehend geschützt, indem das Wasser im Sylvensteinsee zurückgehalten wird. In Trockenzeiten kann mehr Wasser abgegeben werden, um einen höheren Wasserstand der Isar zu erreichen. Dazu dient der Sylvensteinspeicher auch zur Stromerzeugung und als Naherholungsgebiet.
Im Zuge des Baus wurde das Dorf Fall geflutet. Die einzelnen Häuser wurden nach und nach gesprengt. Die Bewohner wurden in das neu erbaute Neu-Fall umgesiedelt, dass südlicher der großen Fallerklammbrücke errichtet wurde.
Der See kann knapp vier Quadratkilometer groß sein, aber auch auf mehr als sechseinhalb Quadratkilomter Wasserfläche anwachsen. Die Stauhöhe kann zwischen 736 Meter über Normalnull (Tiefststau) und 767 Metern (Höchststau) schwanken. Die Normalhöhe sind 752 Meter.
Zur Zeit, Ende 2015, ist der See fast bis zur Minimalhöhe abgelassen, weil an einem Grundablassstollen ein Tor erneuert werden musste. Fragt mich nicht nach den Details. Auf jeden Fall musste der See so weit abgelassen werden, so dass einige Grundmauern des alten Dorfes Fall zu sehen sind. Direkt von der Fallerklammbrücke aus kann man hinunter gehen und zu den Resten des alten Dorfes hinabsteigen.
Tipps zur Begehung von Fall und des Sylvensteinspeichers
Hinwesi: Mittlerweile hat der Sylvensteinspeichers schon lange wieder seinen normalen Wasserstand erreicht. Aber vielleicht wird er ja irgendwann noch einmal abgelassen, dann gelten die folgenden Tipps wieder!
Hier meine Tipps, wenn Ihr zum Sylvensteinspeicher wollt: Wartet nicht allzu lange, denn langsam steigt der Wasserstand schon wieder. In einiger Zeit wird Alt-Fall wieder überflutet sein.
Zieht Gummistiefel und Eure ältesten Klamotten an. Alt-Fall ist definitiv der schlechteste Ort für gute Kleidung und schicke Schuhe. Steckt Eure Kinder in die Schlammsachen, aus denen sie eigentlich schon herausgewachsen sind. Dann könnt Ihr hinterher entscheiden, ob Ihr das Zeug noch einmal wascht oder es gleich wegwerft. Der Schlamm ist wirklich extrem zäh. Übrigens auch so zäh, dass manche Stiefel so fest drin stecken bleiben, dass man sie nicht mehr herausbekommt und barfuß weiterlaufen muss.
Ins Auto gehört auf jeden Fall Wechselwäsche. Für jeden und komplett. Und große Plastiksäcke, in die ihr die dreckigen Sachen inklusive Stiefel stecken könnt. Ein Handtuch schadet auch nicht.
Je früher Ihr da seid, desto höher ist die Chance auf einen guten Parkplatz. Der erste Parkplatz befindet sich vor der Brücke, ein weiterer hinter der Brücke auf der linken Seite. Hinter der Brücke kann man auch am Straßenrand parken. Vom hinteren Parkplatz aus führt ein Weg direkt zum See.
Die Infrastruktur rund um die Brücke ist eher unterentwickelt. Was es nicht gibt: Restauration, einen Kiosk, Toiletten, Bänke, Trinkwasser, Papierkörbe.
Informiert Euch über den Wasserstand. Ich war am 13.12.2015 dort, bei einem Wasserstand von 737,5 Metern über NN. Inzwischen wird der See langsam wieder geflutet. Unter http://www.hnd.bayern.de/pegel/isar/sylvensteinsee-seepegel-16002000 seht Ihr den aktuellen Wasserstand.
Auch bei tiefstem Pegelstand war der Sylvensteinspeicher nicht ganz leer, es gab immer größere Bereiche, die mit Wasser gefüllt waren, so dass der See auch nicht abgefischt werden musste. Und die Isar und ihre Nebenflüsse fließen natürlich auch weiter in den See und direkt am alten Dorf Fall entlang. Vorsicht also besonders an der Wasserkante, vor allem, wenn Ihr mit Kindern oder Hunden unterwegs seid.
Auf Isarbilder.de findet Ihr weitere Informationen zum Sylvensteinspeicher. Auf Facebook unter www.facebook.com/Isarbilder gibt es viele weitere Fotos, Tipps und Links zum Sylvensteinsee. Fotos vom leeren Sylvensteinspeicher mit Schnee findet Ihr bei hoge-uebler.de.
Buchtipps und Wanderkarte:
Klasse Fotos und Bericht!
Toller Bericht mit super Bildern.
Wirklich ein sehr guter, fundierter und sehr sympathischer Bericht
[…] Dann ist der Schnee darauf nicht matschig und man versinkt auch nicht wie mein IronBlogger Kollege Ulrich im Matsch des […]
Sehr interessant, danke!
sehr schöne Bilder und man kann den Sylvenstein mal von einer anderen Seite kennenlernen als sonst
Wow toller Beitrag, das bestätigt sogar meine Gattin Loura!
Sie verliebte sich sofort in den Sy. Speicher als sie Fotos auf dem Sozialen Netzwerk Instagram sah.
Wir werden dort URLAUB machen, auch wenn es nur ein kurzer Trip wird. Bayern ist sehr schön, sagte man uns als wir noch in Berlin lebten, dass kann ich nur bestätigen, wunderschön.
Danke Ludwig II, dass du Bayern so “sexy” gemacht hast.
Liebe Grüße,
Niel Caffrie
Sehr viele Hintergrundinformationen, das finde ich gut.