Über Gletscher und Grenzen

Bildband: Mauro Gambicorti, Anja Salzer: Über Gletscher und Grenzen – Transhumanz in den Alpen

Über einen Zeitraum von zwanzig Jahren hat der aus der Toskana stammende Fotograf Mauro Gambicorti südtiroler Bauern und Hirten mit ihren Viehherden mit der Kamera begleitet. Dabei ist er ihnen auf ihren Wegen von den Winterweiden und -ställen im Tal auf die hochgelegenen Sommerweiden auf den Bergen gefolgt. In diesem Buch werden die Wanderungen der Menschen mit Ihren Tieren in über 450 Fotos und einführenden Texten dokumentiert.

Die Form der extensiven Wanderweidewirtschaft, wie sie im Alpenraum und anderen Teilen der Welt seit Jahrhunderten und Jahrtausenden praktiziert wird, wird als Transhumanz bezeichnet. Eine allgemeingültige und abschließende Definition existiert allerdings nicht, wie die Kulturanthropologin Anja Salzer in ihrem einführenden Text beschreibt.

Im ihrem Artikel beschreibt sie die Entwicklung und Veränderung der Transhumanz von der Frühzeit bis in die heutige Zeit. Die größten Veränderungen in der Welt der Bergbauern fanden im 20. Jahrhundert statt. Technisierung der Landwirtschaft, wirtschaftliche und touristische Entwicklung des Alpenraums und die Globalisierung haben die traditionelle Transhumanz sehr beeinflußt.

Waren die Weideviehhaltung und die jährlichen Wanderungen von den Winter- auf die Sommerweiden früher Grundlage für den Lebensunterhalt, wird sie heute oft als Hobby, aus Tradition und aus touristischen Gründen betrieben.

Hier geht Anja Salzer auch auf das romantisierende Bild der Almwirtschaft und des Senner- und Hirtenlebens ein, das auch viele Städter anzieht, die zumindest zeitweise auf einer Alm Leben wollen.

Allen im Buch beschriebenen Wegen der Transhumanz ist gemeinsam, dass sie über Staatsgrenzen führen. Einer der Wege führt von Mals in Südtirol nach Rasass in der Schweiz. Die anderen vier Routen überqueren jeweils die Grenze zwischen dem italienischen Südtirol und dem österreichischen Tirol. Diese Wege werden beschrieben:

– von Mals nach Rasass in der Schweiz
– vom Vinschgau übers Schnalstal bis ins Ötztal
– vom Pfitschtal ins Zillertal
– vom Ahrntal bis ins Krimmler Achental
– vom Mühlen in Taufers zu den Almen Jagdhaus und Seebach

Mit der Teilung Tirols nach dem ersten Weltkrieg waren viele Bauern in den nun zu Italien gehörenden Tälern Südtirols zunächst von ihren Sommerweiden im Norden abgeschnitten. Doch die alten Weiderechte behielten ihre Gültigkeit, so dass die Bauern weiterhin ihre Weiden im Norden nutzen konnten.

Die Überquerung der politischen Grenzen im Zuge von Fluchtbewegungen wird von Anja Salzer eingehend beschrieben. Sie zeigt die Überquerung der Alpen durch jüdische Überlebende des zweiten Weltkriegs auf ihrem Weg nach Genua und weiter nach Palästina.

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Der Weg dieser Flüchtlinge wird alljährlich auf einer Friedenswanderung nachvollzogen. Auch heute queren wieder Flüchtlinge die Grenzen. Damals wie heute erhalten Sie Unterstützung der einheimschen Bevölkerung und von Hilfsorganisationen.

Den Hauptteil des Buches machen aber die Fotos von Mauro Gambicorti aus. Nach einem einleitenden Text zu jedem der fünf Wanderwege stehen die Fotos umkommentiert für sich. Manche der Fotos erinnern, schon von der Farbgebung her, an alte Abzüge in einem Fotoalbum.

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Wir sehen die Rinder- und Schafsherden auf ihrem Weg über die Berge zu den Sommerweiden auf den Almen. Oder auf dem umgekehrten Weg, wenn sie geschmückt wieder im Tal eintreffen. Die Fotos zeigen das einfache Leben der Hirten in den Bergen, die rauen und schönen Seiten dieser faszinierenden Landschaften.

Rinder und Schafe, die in langen Reihen über tiefverschneite Pfade oder durch den Nebel gehen, bei der Durchquerung von Schneefeldern oder Gebirgsbächen. Fotos von einzelnen Tieren in karger Hochgebirgslandschaft wechseln ab mit Fotos von Rindern inmitten der sattgrünen sommerlichen Almwiesen.

Auf vielen der Fotos sind nur die Hirten zu sehen, einzeln oder in Gruppen, mit ihren Tieren oder alleine. Andere Fotos zeigen die touristische Seite mit vielen Zuschauern, wenn besonders die Rinder mit ihrem Kopfschmuck im Herbst ins Tal ziehen.

Einige der Fotos zeigen ungewöhnlich oder geradezu skurril anmutende Szenen, die mich an den Fotoband “Das andere Bild der Berge” von Jürgen Winkler erinnert haben. Eine Kuh vor einem voll gefüllten Wiesenparkplatz. Die Rinderherde in der betongrauen Röhre eines Straßentunnels. Ein Traktor mit Holzaufbau mit aufgemalter Webadresse.

Die Mehrzahl der Fotos dokumentiert aber in ruhigen Bildern den Weg der Tiere und ihrer Begleiter durch die Alpenlandschaften. Ein schöner Bildband, den Mauro Gambicorti den Menschen, mit denen er diese Wanderungen gemacht hat, widmet. Außergewöhnliche Menschen, die stark mit ihrem Land, ihren Bräuchen und Tieren verbunden sind, wie er schreibt.

Ein Bildband, den ich Euch sehr empfehlen kann.

Links:
Informationen zur Transhumanz bei suedtirol.info
Eine weitere Rezension des Buches bei blog.wohlgeraten.de

Über Gletscher und Grenzen: Die jahrtausendealte Tradition der Transhumanz in den Alpen

256 Seiten
Edition Raetia
ISBN: 978-8-8728-3592-0
28,00
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Hinweis: * = Amazon-Affiliate-Link
Das Buch habe ich vom Verlag Edition Raetia als Rezensionsexemplar erhalten.

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1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Transhumanz wird nicht nur als Hobby oder für den Tourismus betrieben.
    Sie dient zum Schutz vor Verbuschung und unterstützt damit wilde Tierarten, die auf Lichtweiden angewiesen sind. Auch schützt Alpbeweidung vor Lawinen und Erosion. Sie dient der Allgemeinheit, generiert Einkommen und Unabhängigkeit. Und sie dient dem Wohl der Nutztiere (versus Massentierhaltung): Alles sehr wichtige Aspekte.

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