In die Geschichte Oberbayerns: Ein Besuch im Freilichtmuseum Glentleiten
Die ganze Gruppe legt die Köpfe in den Nacken: Das hätten wir nicht erwartet, von außen sah das Gebäude recht unscheinbar aus. Erst im Inneren zeigt sich die ungewöhnliche Konstruktion des Zollingerdachs. Wir sind im Freilichtmuseum Glentleiten in Oberbayern. Inmitten der hügeligen Voralpenlandschaft mit Blick auf die Alpen, ganz in der Nähe von Murnau und dem Werdenfelser Land, zwischen Kochel- und Staffelsee. Über sechzig Häuser aus dem gesamten oberbayerische Raum stehen hier im Freilichtmuseum Glentleiten.
Viele der Gebäude sind Bauernhäuser, oftmals mehrere Jahrhunderte alt. Aber jetzt stehen wir nicht in einem jahrhundertealten Bauernhaus, sondern in der Halle eines Sägewerks aus den zwanziger Jahren, einem der modernsten Gebäude des Museums.
Die damals neu entwicklte Bauweise des Zollingerdachs ermöglichte eine raum- und materialsparende Dachkonstruktion, die leicht zu montieren war. Da die Konstruktion ohne Stütz- und Querbalken auskommt, ist das Raumgefühl in der Halle enorm. Innen wirkt sie viel größer als von außen.
Sommerfrische am Tegernsee
Die meisten der Häuser aber sind wesentlich älter und viele von ihnen bieten eine ganz besondere Geschichte. Ein Haus, das ursprünglich am Tegernsee stand, ist mit der kompletten Inneneinrichtung nach Glentleiten umzogen.
Es erzählt vom Beginn des Tourismus in Oberbayern. Die Sommerfrischler zogen oft mitsamt des eigenen Hauspersonals für viele Wochen oder gar Monate an den Tegernsee. Die Wirtsfamilie räumte den Großteil des Hauses und lebte in den Nebenräumen.
Die gesamte Inneneinrichtung ist noch erhalten geblieben. Manches weckt bei mir noch Erinnerungen an die eigene Kindheit, andere Gegenstände, wirken hoffnungslos veraltet. Auffällig sind die offen verlegten Stromkabel mit der Stoffummantelung. Sie zeigen, wie damals die Moderne in das Haus Einzug gehalten hat.
Beim Wagner
Wir gehen zum Wagnerhaus. Nicht der Komponist, sondern ein Wagenradbauer. Dieses Haus ist besonders für Blinde und Sehbehinderte ausgestattet worden.
Neben dem Eingang ist ein Modell des Hauses aufgestellt, mit dem Blinde die Form des Hauses ertasten können. Begleitende Erläuterungen sind in Braille-Schrift und in erhabenen Buchstaben geschrieben, die ertastet werden können. Im Wohnraum sind nur wenige Gegenstände ausgestellt, alle dürfen natürlich angefasst werden.
Sobald man die Werkstatt des Wagners betritt, erzählt eine Tonbandstimme von der Arbeit, begleitet von den typischen Arbeitsgeräuschen. Die jeweiligen Arbeitsbereiche werden angeleuchtet, was nicht nur schlecht Sehenden die Orientierung erleichtert.
Murnau-Werdenfelser Rinder und Almwirtschaft
Kurz darauf wird es richtig idyllisch. Wir blicken auf den Kochelsee und gehen zu den Murnau-Werdenfelser Rindern, die hier auf einer Weide zwischen Almhütten grasen. Das Gras steht hoch, Wildblumen blühen um die Wette und aus der Almhütte müsste jetzt nur noch eine Sennerin kommen und uns ein Glas frische Kuhmilch oder einen Almkäse anbieten.
Die Murnau Werdenfelser Rinder, die wir hier besuchen, sind eine alte Nutztierrasse, die schon vom Aussterben bedroht war. In letzter Zeit bemüht man sich jedoch, diese für die Region typische Rasse zu erhalten und den Bestand wieder zu vergrößern.
Die Murnau Werdenfelser Rinder sind gut an die Region angepasst. Ihre Hufe sind die feuchten Böden der Moorandschaften gewohnt, sie können aber auch gut auf felsigem Untergrund in den Bergregionen gehen. Als alte Rasse sind sie ein Dreinutzungsrind. Sie dienten den Bauern als Milch- und Fleischlieferanten und wurden, auch im unwegsamen Gelände und für Waldarbeiten, als Zugtiere eingesetzt.
Durch den verstärkten Einsatz von Traktoren ab Mitte des 20. Jahrhunderts und die Züchtung anderer Rinderrassen auf möglichst hohe Fleisch- oder Milchmengen wurden die Murnau Werdenfelser Rinder jedoch immer weiter verdrängt, bis der Fortbestand gefährdet war.
Inzwischen ist besonders das Fleisch der Murnau Werdenfelser Rinder als regionale Spezialität gefragt. Die Tiere leben im Sommer auf den Weiden des Werdenfelser Landes und fressen das Gras mit den dort heimischen Kräutern und Wildblumen. Im Winter, in der Stallzeit, werden sie ebenfalls mit Heu aus der Region gefüttert, ohne zugesetztes Kraftfutter.
Das Fleisch der Murnau Werdenfelser Rinder wird überwiegend regional verkauft. Tipp für Münchner: Im Pschorr am Viktualienmarkt, an der Schrannenhalle, bekommt man es fertig serviert.
Eine rundum gute Sache, wie ich finde. Eine traditionelle Rinderrasse wird erhalten, die Tiere leben sehr artgerecht überwiegend auf der Weide, die Vermarktung erfolgt regional und die Bauern werden für die geringeren Milch- und Fleischmengen durch höhere Preise entlohnt. Und, auch davon konnten wir uns überzeugen, sie schmecken auch sehr gut.
Die Rinder stehen also auf der Weide im Freilichtmuseum Glentleiten, zwischen den Almhütten. Postkartenlandschaft, Idylle, einfaches, naturnahes Leben.
Doch der Wunsch nach dieser Almidylle wird in der nächsten Hütte gleich wieder zurechtgerückt. Wieder durch eine Tonbandstimme erfahren wir, wie karg, entbehrungsreich und ausschließlich auf Arbeit ausgerichtet das Leben der Hirten auf der Alm in früheren Zeiten war. Es war wohl doch nicht so erstrebenswert, dieses einfache Leben in den Bergen.
Land-Wirtschaft: Seilerei, Hafnerei, Kramerladen
Dann schnell wieder zurück in die Zivilisation, zurück ins Dorfleben früherer Zeiten. Wir besuchen die Seilerei, in der wir sehen können, wie Seile traditionell hergestellt werden. Und wer mag, kann gleich sein eigenes Seil machen und mitnehmen.
In einem Gebäude ist die Hafnerei von Glentleiten untergebracht. Bisher dachte ich, der Begriff „Hafnerei“ würde nur für Ofenbauer gelten, hier aber erfahre ich, dass es auch das Töpfern dazu zählt.
Hier kann man nicht nur zusehen, wie Krüge, Tassen oder andere Tongefäße hergestellt werden, man kann auch selbst Hand an die Töpferscheibe anlegen und sich seine eigenen Schalen herstellen und vor Ort brennen lassen. Oder man greift zum vorhandenen Sortiment und nimmt sich eine Tasse oder Schale mit nach Hause.
Einkaufen kann man auch im Kramerladen gleich nebenan. Dort gibt es nicht nur typische Lebensmittel und Produkte, wie sie früher im Dorfladen üblich waren, sondern auch riesenhaftes Schmalzgebäck für den schnellen Appetit zwischendurch.
Für den größeren Hunger bietet sich die Gaststätte an. Bayerische Spezialitäten gibt es hier, bei schönem Wetter sitzt man draußen und wir hatten sogar noch echte Blasmusik, denn bei unserem Besuch fand gerade ein Jungmusikantentreffen statt. Innen sieht die Selbstbedienungs-Gaststätte etwas nach Kantine aus, der einzige Punkt, der mir am Freilichtmuseum weniger gefallen hat.
Wissenswertes Zum Freilichtmuseum Glentleiten
Das Freilichtmuseum Glentleiten ist eine große Empfehlung! Bei unserem Besuch war das Wetter übrigens eher mittelmässig, aber aber das passt auch für das Museum, da man sich häufig in den Häusern aufhält.
Bei strahlendem Sonnenschein ist es natürlich noch schöner. Glentleiten ist ein echtes Mitmachmuseum, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene werden über das ganze Jahr verteilt viele Kurse und Workshops angeboten. Wenn Ihr einen Besuch plant, schaut einfach vorher auf die Website des Museums.
Im Jahr 2016 wurde das Freilichtmuseum Glentleiten übrigens 40 Jahre alt. Seit 1976 werden Häuser aus ganz Oberbayern an ihrem ursprünglichen Standort abgebaut und auf dem Gelände des Museums neu aufgebaut, was in der Fachsprache „Translozierung“ heißt. Dabei werden sie wissenschaftlich untersucht, die Gegenstände archiviert, veruscht, möglichst viel über die historische Nutzung der Gebäude zu erfahren.
Unsere Führung mit der Gruppe der Zugspitz-Region wurde von einer im Museum angestellten Museumshistorikerin durchgeführt, die uns auf viele Details der Häuser aufmerksam gemacht hat, die wir so gar nicht gesehen hätten.
Ein interessantes Projekt ist „Translozierung und dann?“. Die Häuser werden also an ihrem bisherigen Standort abgebaut und kommen nach Glentleiten. Aber was passiert am bisherigen Standort? Meistens wird dort neu gebaut. In diesem Forschungsprojekt wird untersucht, welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede es in der Bauweise und der Nutzung am bisherigen Standort gibt.
Übrigens: Es gibt auch noch eine Außenstelle des Museums Glentleiten. In Amerang, etwas nordwestlich vom Chiemsee, befindet sich das Bauernhausmuseum Amerang. Das kann ich auch sehr empfehlen, da waren wir vor einigen Jahren mal. Es ist nicht so bekannt wie Glentleiten, lohnt einen Besuch aber auch sehr.
Wie kommt man hin?
Mit der Bahn: Mit der DB von München in Richtung Garmisch-Partenkirchen bis Murnau oder Kochel fahren. Dann mit der Regionalbus-Linie 9611 bis zur Haltestelle „Freilichtmuseum Glentleiten“. Im Winter fährt der Bus allerdings nicht direkt bis zum Museum, dann muss man vom Rathaus in Großweil etwas 20 Minuten laufen.
Mit dem Auto: Über die A95, die Garmischer Autobahn, fährt man bis zur Ausfahrt „Murnau/Kochel“, dann der Beschilderung zum Museum folgen.
Links:
Homepage des Freilischtmuseums Glentleiten
Homepage des Bauernhausmuseums Amerang
Informationen zum Murnau Werdenfelser Rind
Homepage des “Pschorr” in München
Artikel im Dahoam-Magazin über Freilichtmuseen
Buchtipps und Wanderkarte: