Mit der Rennrad-Tarnkappe über die Gardesana

Liebe Radsportfreunde am Gardasee, wir müssen reden. Es geht um Leben und Tod. Euer Leben. Und mit Eurem Tod will ich nichts zu tun haben. Wen von Euch meine ich? Nein, ich meine nicht die Hotel-Radl-Ausleiher, die eh nur gemütlich den Lungolago auf und ab fahren. Habe ich auch schon gemacht, macht Spaß, ist schön, Urlaub eben. Meine ich die Mountainbiker?

Eine Menge Mountainbikes am Hafen in Riva del Garda

Eine Menge Mountainbikes am Hafen in Riva del Garda

Mit dem Fully im Downhill den Monte Baldo oder Tremalzo runter. Auf der Ponale-Straße Wanderer umkurven. Alles nicht risikolos, aber ein mit Helm und Protektoren gesicherter Sport. Die Fatbiker, die Trendsetter der letzten Jahre? Das ist extrem cool, aber ehrlich gesagt habe ich Euch bisher nur über die Piazza III Novembre cruisen gesehen. Die in Arco vor dem Caffé Trentino oder die in Riva vor dem Caffé Maffei. Wo seid Ihr denn sonst unterwegs?

Nein, ich meine die Rennradler unter Euch und auch von denen nur ein paar. Zunächst einmal wundere ich mich über Euch. Der Gardasee ist toll, ich bin jedes Jahr dort, so wie Ihr auch. Aber was ist das Tolle daran, dort Rennrad zu fahren? Gerade dort?

Über zwei der vermutlich meistbefahrenen Straßen Italiens, über die Uferstraßen Gardesana Orientale und Gardesana Occidentale? Eher schmale Straßen, die man sich mit unzähligen Autos, Motorradgruppen, Linienbussen, Reisebussen, Wohnwagengespannen, Wohnmobilen, Lastwagen und Autos mit breiten Bootsanhängern teilen muss? Auf denen man teilweise kilometerlange Tunnel durchfährt, immer gejagt vom nächsten Zwölftonner, leckere Stickoxide einatmend? OK, das ist Euer Ding, es macht Euch offensichtlich Spaß. Ich wundere mich nur etwas. Aber andere wundern sich ja auch über mich, wenn ich in der Sommerhitze auf die Berge wandere, anstatt die Füße in den Lago zu halten.

Was mir aber überhaupt nicht in den Kopf geht ist, dass ziemlich viele von Euch nichts für ihre eigene Sicherheit tun. Ihr rast also mit 43 oder 52 Stundenkilometern über die Aphaltpiste, auf dem Weg von Limone nach Riva. Oder von Malcesine nach Torbole. Die Vorfreude auf das isotonische Kaltgetränk aus Erdinger Produktion steht Euch schon auf die verschwitzte Stirn geschrieben, manchen ist sie sogar auf’s Trikot gedruckt.

Irgendwo auf der Strecke überhole ich Euch mit meinem untermotorisierten Auto, nicht selten im Tunnel. Denn Eure 52 Stundenkilometer sind für einen Radfahrer ein großartiges Tempo, vielleicht fahrt Ihr sogar gerade Eure persönliche Höchstgeschwindigkeit. Aber auf der Straße, so leid es mir tut, seid Ihr trotzdem nur die Zweitlangsamsten, nach den kleinen Ape-Dreirädern.

Ich überhole Euch mit Tempo 70. Ich darf das. Und wenn genug Platz ist, mach ich das. Und nicht nur ich, sondern auch die unzähligen anderen Autos, Motorradgruppen, Linienbusse, Reisebusse, Wohnwagengespanne, Wohnmobile, Lastwagen und Autos mit breiten Bootsanhängern. Die dürfen dort alle 70 km/h fahren. Die machen das auch alle. Die überholen Euch, sobald es geht.

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Wenn nicht ein anderes Auto oder ein anderer Reisebus entgegenkommt. Oder ein Lastwagen oder Wohnmobil. Dann muss man bremsen, um den Radfahrer nicht plattzufahren. Dann bremst der Auto-, Motorrad-, Bus-, Wohnmobil- oder Lastwagenfahrer. Wenn er denn den Radfahrer nur früh genug sieht.

Und da kommt Ihr wieder ins Spiel. Viele von Euch sieht man auch im Tunnel gut. Manche tragen leuchtend gelbe oder orange Trikots oder Jacken, teilweise sogar mit strahlend hellen Reflektoren. Oder Ihr tragt reflektierende Bauarbeiterwesten. Modisch und luftwiderstandsmässig eine durchaus diskutable Wahl, sicherheitstechnisch und preislich aber absolut top. Diese Radfahrer haben auch blinkende Rücklichter. Sie strahlen wie ein Christbaum, man sieht sie frühzeitig auch im dunklen Tunnel oder in den halboffenen Galerien, wo es im Sekundentakt zwischen gleißend hell und tiefdunkel wechselt.

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In Italien ist es übrigens für Radfahrer seit 2010 Pflicht, in Tunneln reflektierende Warnwesten zu tragen. Nach Einbruch der Dunkelheit gilt die Regelung generell auf allen Straßen (hier bei adac.de und radissimo.de).

Hiweisschild auf die Warnwestenpflicht am Tunnelportal Navene, von Malcesine in Richtung Torbole

Hiweisschild auf die Warnwestenpflicht am Tunnelportal Navene, von Malcesine in Richtung Torbole

Mittlerweile sind an den Tunnelportalen der jeweils ersten Tunnel, die man duchfährt, Schilder angebracht, die mittels Symbolen sowie auf Italienisch, Englisch und Deutsch auf die Warnwestenpflicht hinweisen.

Die Deutsche Übersetzung ist etwas holprig geraten, aber durchaus verständlich

Die Deutsche Übersetzung ist etwas holprig geraten, aber durchaus verständlich

Dann gibt es aber auch die Spezialisten, die sich in dunkelblaue oder schwarze Trikots werfen. Besonders in den letzten Jahren sind sie mir aufgefallen. Nicht nur wegen der intensiven italienischen Sonneneinstrahlung und Temperaturen von locker mal 30 bis 40 Grad könnte diese Trikotwahl eher so semi-optimal sein. Aber wie weit im voraus sieht man einen schwarz gekleideten Radfahrer im schwarzen Tunnel wohl?

Unbeleuchteter Radfahrer mit schwarzem Trikot  im unbeleuchteten Tunnel - (Symbolbild)

Unbeleuchteter Radfahrer mit schwarzem Trikot im unbeleuchteten Tunnel – (Symbolbild)

Und damit Ihr auch wirklich Eure Bestzeit fahrt, seid Ihr natürlich gewichtsoptimiert unterwegs. Die vielleicht 50 Gramm Gewicht eines batteriebetriebenen Rücklichts* machen auf 50 Kilometer Fahrstrecke bestimmt eine Zehntelsekunde aus. Von den 112 Gramm für den LED-Scheinwerfer* gar nicht zu reden! Also weg damit, Gewicht sparen!

Ihr fahrt also extrem dunkel gekleidet und ohne jede Beleuchtung durch dunkle Tunnel, als wenn Ihr mit einer Tarnkappe unterwegs wärt. Das Problem: Diese Tarnkappe macht Euch nur unsichtbar, aber nicht unverwundbar.

Darum mein völlig eigennütziger Tipp an Euch, denn ich will Euch nicht aus meinem Kühlergrill kratzen müssen: Ihr seid Radsportler, macht Doping! Lichtdoping! Werdet zum Christbaum statt zur Tarnkappe. Dann klappt’s auch mit dem isotonischen Kaltgetränk auf der Piazza. Vielleicht stoßen wir dann zusammen auf den erfolgreichen Garda-Sporttag an.

Übrigens: Die Craft Glow Jacket hat Reflektoren. Ich habe vor einiger Zeit mal einen Bericht mit Fotos gesehen, die die Jacke zeigen, wenn sie im Dunklen angestrahlt wird. Das ist mehr als Christbaum, das geht schon in Richtung Flutlicht. Leider habe ich diesen Link nicht mehr gefunden.

Buchtipps und Wanderkarte:

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10 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Schön und treffend geschrieben, wobei ich sowieso nie verstehen werde, warum am Gardasee das Rennrad wählt. Dort geht man besser klettern, surfen oder biken. Fürs Rennrad gibt es 1000 bessere Orte.

  2. Das ist ein super Beitrag. Und auch ich muss dir zustimmen. Ich frage mich immer, wie die Radler teilweise heile bleiben. Mach weiter so!

  3. Vielen Dank für den Bericht,
    ich war gerade auf der Suche ob man den Gardasee besser im oder gegen den Uhrzeigersinn
    umrundet, und bin auf Ihren Bericht gestoßen. Ganz klar ihrer Meinung.
    Das mit der Warnwestenplicht wusste ich nicht, Danke dafür, und ist nun mit im Gepäck, genauso wie ordentliche Beleuchtung.
    Der Gardasee ist so vielseitig, das auch noch das Rennrad zum Klettersteigset den Wanderschuhen
    und dem MTB gestopft wird, Gardasee und RR geht auch.
    Danke

  4. Hallo Jürgen,
    super, vielen Dank für Deinen Kommentar! Gardasee und Rennrad geht natürlich, nur für mich wär’s nix, ich bin ein paar Etagen höher unterwegs in den Bergen 🙂
    Die relativ neuen Tafeln vor den Tunneln hhelfen sichr, das bewusst zu machen, dass man eine Weste trägt. Wer mit dem Auto anreist, hat sie ja sowieso mit. Ein echtes Sicherheitsplus!
    Viel Spaß am Lago!
    Uli

  5. @Jürgen
    wie herum man den See am besten umrundet hängt von dem Startpunkt der Umrundung ab.
    Die ganzen Tunnel im Nordwesten sind kein zuckerschlecken, schon gar nicht mit viel Verkehr. Also sollte man da möglichst früh durch sein. Am besten morgens gegen 7 Uhr im Norden (Torbole/Riva) starten, da fährst Du dann fast allein und kannst die Westseite entspannt durch die Tunnel fahren. Nur ein paar ganz wenige Eingeborene überholen Dich dann auf deren Weg zur Arbeit. Ab ca. 9:00 Uhr wird es dann langsam voll (je nach Jahreszeit) und da will man ganz bestimmt nicht in den kilometerlangen Tunneln mit den Abgasen und der Masse an eng überholenden Fahrzeugen fahren.

    @Uli
    Das eine schliesst das andere nicht aus, der Gardasee bietet unheimlich viel und da fährt man sowohl mal unten wie auch oben. Auf dem MTB fährt man i.d.R. deutlich kleinere Runden weil man nicht so schnell ist 😉
    Das Reizvolle für mich als Rennradfahrer “unten” zu fahren ist der Reiz viel im Windschatten der Autos zu fahren. Zumindest in der Nachsaison ist das sehr gut möglich und so sind auch mal 50-60km/h für eine ganze Weile sehr gut möglich, was sonst undenkbar wäre (ohne Gefälle).
    Morgens in der früh kann Kilometer schrubben und die Ruhe geniessen, ab ca. 9-10:00 Uhr hat man eine gute Verkehrsdichte um gut/schnell Windschatten zu fahren (zumindest auf der Ostseite, bei zu wenig Verkehr sind die Autos zu schnell bei 70km und fahren auch nicht langsamer, bei mehr Verkehr beschleunigen sie langsamer und fahren häufig nur 50-60km/h so das man gut dranbleiben kann, wenn sie groß genug sind ohne die Sicht zu behindern – Stichwort Bremsweg).
    Danach fährt man dann lieber auf den ganzen Passstraßen (mit wenig Verkehr) oder im Norden an Arco vorbei in die Sarca Schlucht. Wobei man das am besten auch Morgens früh macht weil da sonst ggf. auch recht viel los ist und schnelles, rücksichsvolles fahren unmöglich wird.

  6. Kann ich komplett unterschreiben. Der schwarze Block nervt mich als Radfahrer genauso, auch in der Stadt.
    Was fehlt, ist die Kritik an der eigenen Truppe. Silberne, graue und schwarze Autos heben sich auf sonnenbeschienener Straße kaum vom Belag ab. Also entweder vernünftige Farben bestellen oder auch mit Warnwesten/-streifen bekleben.
    Für die Dieselfraktion: Immer die Abgasreinigung einschalten oder ggf. nachrüsten. Der Radfahrer dankt.

  7. Hallo Marc,
    ja, ich würde mir auch wünschen, dass es Autos auch mal wieder in helleren Farben gibt und nicht nur in zwölf Silbergrau-, Braun und- Anthrazit-Tönen.
    Immerhin gibt’s ja inzwischen serienmässige Tagfahrleuchten, ein echtes Sicherheitsplus. Ich frage mich nur, warum nicht auch Tag-Rücklichter vorgeschrieben sind. Und rund um den Gardasee bietet es sich aufgrund der Tunnel sowieso an, mit Licht zu fahren, das sollte wirklich jeder machen.
    Viele Grüße
    Uli

  8. Danke für den Artikel: Wir fahren Sonnabend an den Gardasee, und ich wollte mein Gravel-Bike (das Rennrad eher nicht) mitnehmen, eben um den Gardasee zu umrunden. Beim Suchen nach einer sinnvollen Strecke hat mir Professor Google diese Seite offenbart, und nun werde ich das Rudel daheim lassen! Lampen vorne und hinten habe ich, aber an eine Warnweste hätte ich nicht gedacht. In diesem Zusammenhang finde ich die Forderung, wenn ich das richtig verstanden habe, in Italien in Tunneln auf dem Radel eine Warnweste zu tragen, nicht schlecht. Auch ich als i.d.R. Rennradfahrer (das Gravel ist eher mein Alltagsbike für den Weg zur Arbeit und daher mit Licht, Schutzblechen und Gepäckträger ausgestattet) fahre gerne “bunt”, also rotes oder blaues Trikot bzw. im Winter gelber Gore-Radjacke. Die komplett in schwarzer Montur fahrenden Kollegen, insbesondere in den Wintermonaten, kann ich aus sicherheitstechnischer Sicht nicht verstehen, aber wenn es ihnen gefällt…

  9. Hallo Thomas,
    für Radler ist der Gardasee eine tolle Gegend, Rennradfahrer, Genussradler und natürlich Mountainbiker gibt es dort wirklich viele. Von daher will ich Dir gar nicht abraten, das Rad mitzunehmen, Du kannst da bestimmt viel Spaß haben.
    Als Warnweste kann man auch die aus dem Auto nehmen, die muss man in Italien ja sowieso schon länger mitführen. In letzter Zeit sehe ich auch immer mehr Radfahrer, die reflektierende Westen aller Art tragen, das ist ein echtes Sicherheitsplus. Gerade auch in den halboffenen Galerien mit dem ständigen hell-dunkel Wechseln sieht man Radfahrer viel früher.
    Ich wünsche Euch viel Spaß am Gardasee und bin ein bissl neidisch, könnte auch schon wieder hinfahren! 🙂
    Viele Grüße
    Uli

  10. Nun ja, man könnte auch fragen, warum so viele Menschen glauben, mit dem Auto jeden einzelnen Meter zurücklegen zu müssen, wenn es auch zu Fuß oder mit dem Rad ginge. Man könnte auch fragen, warum es in anderen Ländern ganz wunderbar klappt mit Rennradfahrern und Autofahrern – Italien hat hier sicher Luft nach oben. Man könnte auch fragen, woher der Überholzwang vieler Menschen kommt, der häufig (völlig unnötig) zu gefährlichen Situationen führt.

    Wir sind gerade mit den Rennrädern am Gardasee und hauptsächlich im Hinterland unterwegs – dennoch kann es vorkommen, dass man mal einige Kilometer am See entlang fahren will/muss, weil man eben auch irgendwie wieder zurück zum Ausgangspunkt kommen möchte.

    Wir fahren dabei mit gut sichtbaren Trikots, Rücklichtern (verstehe dein Problem mit den Akkuleuchten übrigens nicht), reflektierenden Schuhen und Westen (auch hier ist mir deine Kritik nicht ganz klar – Weste ja, aber über die wenig windschnittigen lästerst du dann auch? Wo ist das Problem?) Im Gegenzug würde ich hoffen, dass auch entsprechend Rücksicht genommen wird, denn dort wo Radfahren erlaubt ist, sollte man es auch überleben dürfen, findest Du nicht auch?

    Einfach mal tief durchatmen und sich freuen, dass es einem gut geht! Und ach ja, wir halten an roten Ampeln und Fußgängerüberwegen etc, also bitte nicht alle über einen Kamm scheren 😉 es gibt auch vernünftige Radfahrer, so wie es auch vernünftige Autofahrer gibt – von beidem hoffentlich immer mehr, so dass man nicht mehr seines Lebens fürchten muss, wenn man sich tatsächlich erdreistet, auf einer öffentlichen Straße Rad zu fahren.

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